monkey. / Schallter
VÖ: 30.10.2015
SCHALLCD001 (Jewelcase-CD)
Vertrieb: Rough Trade
Kontakt: monkey.
Einstürzende Altbauten!? Studiert man das Feuilleton, wird die Pop-Avantgarde der frühen achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Deutschland gerade frischfröhlich – und mit großem Publikumsinteresse – musealisiert. Man denke etwa an die Schau „Geniale Dilettanten“ des Goethe-Instituts, die im Sommer 2015 im Haus der Kunst in München gezeigt wurde.
Auch in Österreich ist es soweit: „Ballgasse 6 – Wiener Avantgarde der 80er“, die vorliegende CD, ist der Soundtrack zur gleichnamigen Ausstellung im Wien Museum am Karlsplatz. Und ein wenig auch ein Katalog-Ersatz. Sie erfasst – mit Tracks der wichtigsten Künstler/innen, Kollektive und Bands von damals – den Zeitgeist jener Jahre, wo einem Wien retrospektiv „wie das bessere Berlin oder sagen wir gleich: New York“ (Kurier) vorkommt.
Verantwortlich dafür zeichnete zuvorderst der junge Galerist Peter Pakesch, der an der zentralen Adresse unweit der Kärntner Straße einer neuen Generation Ausstellungsraum und Kommunikations-Plattform bot. Herbert Brandl, Franz West, Heimo Zobernig & Co. machten die Ballgasse 6 zum Brennpunkt einer ungestümen „New Wave“ der bildenden Kunst, die mit Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Mike Kelley und Sol LeWitt auch aus dem Ausland wesentliche Proponenten zeigte und ins Land holte. „Das Kunst-Wunder von Wien“ titelte 1986 das Magazin „art“.
Dieses Wunder hatte auch eine inhärente musikalische Komponente. Besonders die Querverbindungen zu heute weithin bekannten Malern, Künstlern und Theoretikern wie Gunter Damisch, Peter Weibel, Karl Kowanz, Konrad Becker oder Gerwald Rockenschaub sind dokumentiert. Bands wie Molto Brutto, Monoton, Hotel Morphila Orchester, Rosachrom oder Graf+Zyx hinterließen Spuren in der österreichischen Pop-Historie auch jenseits der artifiziellen Sphäre der Kunsthochschulen, Galerien und Ausstellungsräume. „Die Maxime war“, so Inge Graf vom erstaunlich zeitlosen Elektronik-Duo Graf+Zyx, „das Korsett des Gewohnten für uns nicht mehr relevant werden zu lassen.“
Relevant blieb die Essenz jener „schnellen Jahre“. Hier wurde sie, kundig ausgewählt, restauriert und digitalisiert, zu einer vielgestaltigen Tonspur verdichtet. Die liebevoll gestaltete CD – einige Stücke u.a. von Pas Paravant, Dumpf oder Wirr sind hier erstmals veröffentlicht – enthält ein zweiunddreißigseitiges Booklet voller Informationen, Anmerkungen, Einschätzungen und Bilder (zusammengetragen vom „WienPop“-Autor und Kurator Thomas Mießgang), die auch all jene, die es nicht zur Ausstellung schaffen, tief in diese Ära eintauchen lässt. Eventuell soll noch eine Vinyl-LP folgen, als abschließende Fußnote retrofuturistischer Vorausschauen auf eine bewegte Vergangenheit.
(Walter Gröbchen)