„Seid’s vuarsichtig und losst’s eich nix g’foin!“ (Ostbahn-Kurti alias Willi Resetarits)
Während diese Zeilen geschrieben werden, wogt eine Diskussion um Wien und seine aktuelle Musikszene. In den Medien und, sowieso, im Internet. Der Auslöser war ein kurzer Auftritt des Cloud-Rappers Yung Hurn bei der Eröffnung der Wiener Festwochen 2022. Der Mann (bzw. die Kunstfigur, die er verkörpert) gilt unter politisch korrekten Kolleg*innen als nicht saktisfaktionfähig (weil: vordergründig sexistisch, rassistisch, chauvinistisch, you name it), andererseits hatte er seine enorme Popularität zuvor schon bei diversen Großveranstaltungen unter Beweis gestellt, von der FM4-Bühne beim Donauinselfest bis hin zur Volkshilfe-Solidaritätsveranstaltung am Karlsplatz (wo er stimmungsmäßig auch dem Popfest die rote Laterne zeigte). Der Schmusechor rund um die Dirigentin Verena Giesinger wollte jedenfalls mit dem HipHop-Querschläger aus Hirschstetten partout nicht gemeinsam auf der Bühne stehen.
Nun ist diese Diskussion führenswert, brisant und notwendig. Andererseits haben Widersprüchlichkeiten (und damit automatisch Widerspruch), Provokation, Unbequemheit und die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks in dieser Stadt eine gute Tradition - mit historisch dunklen Unterbrechungen. Man erinnere an Namen und Bands wie Helmut Qualtinger, Georg Kreisler, Novak’s Kapelle, Drahdiwaberl, Sigi Maron, Georg Danzer, Misthaufen, Alkbottle, Böslinge, Chuzpe, Hotel Morphila Orchester, Heli Deinboek, Das Trojanische Pferd, Gustav, Soap&Skin oder Kerosin 95 (und viele mehr). Sie lassen sich gewiss ideologisch nicht unter einen Hut kriegen, haben eventuell diametrale Positionen, aber eines gemein: persönliche und politische Kantigkeit.
Wir mögen diese Kantigkeit. Aus Prinzip. Und bemühen uns Jahr für Jahr, nicht nur erkennbare Hymnen und glatte Hits aus und über Wien zusammenzutragen, auch besonders provokante, kritische, unmodische, aufreizende und querliegende Songs als Rosinen in den Teig zu kneten. Sie erzählen etwas über diese Stadt. Sie erzählen etwas über diese Zeit. Und sie erzählen etwas über die Spannweite, Breite und Tiefe der lokalen Szene. Von Anna Mabo bis Bipolar Feminin, von Sinuswelle bis Marco Pogo. Wir wagen die Diagnose: so gebrodelt hat es schon lange nicht mehr. Mit besonderer Trauer erinnern wir uns zudem an Willi Resetarits, der wie kein zweiter ein unumstrittener „elder statesman“ der Wiener Musiklandschaft war. Und leider vor wenigen Monaten sein letztes Lied sang. Er lebt weiter, wenn wir seine Worte, seine Musik und seine Menschlichkeit weitertragen. Respekt und Verneigung!
Unterm Strich soll diese jährliche CD (anno 2022 wieder zweischeibig!) dabei helfen, diese Landschaft abzubilden und konzentriert zu durchmessen. Im Idealfall nichts und niemanden zu vergessen. Das subjektiv Beste - wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit! - Jahr für Jahr auf einem Tonträger (und, klar, auch in einer Playlist) zu versammeln. Danke allen, die an Bord sind.
WIEN MUSIK 2022. Viel Vergnügen, man hört einander wieder.