SCHALLTER/monkey.
VÖ: 08.05.2020
SCHALLCD007 (CD im Jewelcase)
SCHALL038 (12”, schwarzes Vinyl)
Vertrieb: Rough Trade
Kontakt: monkey.
"Ich bin das System - und ich werd untergehn", so - wie sich mittlerweile herausstellen sollte - geradezu prophetisch beginnt ein Album, das an vielen Stellen die Finger in die Wunde legt aber auch versöhnlich stimmt und insgesamt um DIE einzige Konstante kreist: Veränderung.
Das Trojanische Pferd zählt zu den funkelndsten, eigenwilligsten und eigenständigsten Bands im deutschsprachigen Raum. Im Gegensatz zum vorherrschenden Indie-Pop á jour setzt Mastermind Hubert Weinheimer auf Lieder (!) mit Ecken und Kanten.
Album #4 hat sich von der orthodoxen Indie-Folk Programmatik freigespielt: Elektronische und beatige Facetten erweitern das Spektrum der Band. Andere Stücke wiederum – insbesondre in der zweiten Halbzeit des Albums - sind direkt am Piano eingespielt, ungeschliffen, tolldreist und rücksichtslos gegen sich selbst. Anno dazumal hätte man doch glatt Anti-Easy Listening dazu gesagt. Nun heißt es „Gunst“. Eine Überraschung? Eigentlich nicht: alle paar Jahre kommt Weinheimer mit neuem Material, mit radikalen Ideen, mit einem Tornister voller Wagemut, messerscharfem Witz und theatraler Bühnenlust um die Ecke gebogen.
"Wer sich beschweren will, erleichtert sich
und bringt den Andern aus dem Gleichgewicht"
(aus: "Sisyphus und Frankenstein")
Dabei hat sich freilich an der Ästhetik der Band über die dreizehn Jahre ihres Bestehens hinweg einiges geändert, aber die Direktheit ist geblieben. Das selbstbetitelte Debutalbum erschien 2009 (Single: "Wien brennt!"). 2012 folgte "Wut & Disziplin" und weitere drei Jahre später "Dekadenz". "Hier offenbart sich allein in Sprachgestus und -bildern ein ultimatives Stück lyrischer Pop-Genialität.“ meint etwa Bruno Jaschke 2015 in der "Wiener Zeitung". "Ein Anwärter auf die Platte des Jahres.“ Und der „Falter“ konstatierte: „Das Trojanische Pferd brennt an beiden Enden.“
Während die Band sich bis dahin um Chanson-Punk im weitesten Sinn verdient gemacht hatte, kann das neue Album „Gunst“ auf keine so einfache Formel heruntergebrochen werden: Schlager, Kunstlied, Punk und Poesie feiern gemeinsam ein rauschendes Fest, brechen sich und uns dabei alle Knochen und sammeln sich neu. Nicht zufällig hat die Band zum letzten Album T-Shirts mit der Aufschrift "FUCK YOUR BAND" produzieren lassen; nun ist es Hubert Weinheimer, der zum Teil gemeinsam mit David Schweighart und Rene Mühlberger und zum Teil im Alleingang, das Album ins Dasein wuchtete - mit einem sehr erwähnenswerten Gastauftritt des Bläser-Ensembles "Federspiel" bei "Sisyphus und Frankenstein" .
Das Trojanische Pferd hat sich immer schon überdeutlich abgegrenzt. Plakative Lässigkeit – ein Widerspruch in sich - war und ist der Band verhasst.
Über die teilweise schwierigen Umstände, unter denen dieses Album entstanden ist und beinahe nicht entstanden wäre, ranken sich die wildesten Gerüchte. Letztendlich aber haben sich wieder alle freien, verfügbaren Geister zusammengerauft (live sind das fortan Hubert Weinheimer, David Schweighart und Judith Filimónova) - und herausgekommen ist dabei erstaunlicherweise nicht nur einmal mehr ein bemerkenswert gutes, sondern auch ein teilweise ungewohnt angriffiges Album. Stücke wie „Ich bin das System“, „Handgranate“, „Der Mühlstein“ oder „Ja, das ist bitter“ dürfen als schonungslose Zeitdiagnose gewertet werden. „Wir sind nackter als je zuvor - gerade weil wir diesmal ständig die Kostüme wechseln und wir uns dabei zuschauen lassen.“, sagt Hubert Weinheimer. Der Status Quo gilt weithin als Katastrophe, aber der Bruch kann sich als Gunst erweisen…
TRACKLIST:
1 Ich bin das System
2 Mephisto
3 Ich weiß, wo du wohnst
4 Wir werden sehen
5 Sei lieb zu mir
6 Handgranate
7 Ja, das ist bitter
8 Kindergeburtstag in Kaltenleutgeben
9 Sisyphus & Frankenstein
10 Einfalt, Zweifalt, Dreifaltigkeit
11 Fensterkitt
12 Der Mühlstein